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Innovationspreis GEFAHR/GUT

01.06.2017 Praxisbericht

Innovationspreis Gefahr/gut 2017: Ladung unter Verdacht

Mit Hilfe des Suchprogramms „Cargo Patrol“ erkennt die Reederei Hapag-Lloyd nicht deklariertes Gefahrgut und andere problematische Ladung vor der Verschiffung.
Containerterminal Hamburg 1200

Das Suchprogramm erhöht die Sicherheit für die Seeleute, für Schiffe und Umwelt sowie für die Ladung der ehrlichen Kunden.

©Foto: Hapag-Lloyd

Nicht deklarierte Ladung ist seit vielen Jahren ein ungelöstes Problem für die Containerschifffahrt. Abfälle, militärische Güter, radioaktive Stoffe, Embargoware und in hohem Maße auch Gefahrgut stellen ein großes Risiko für Mensch, Umwelt, Schiff und Ladung dar, wenn sie bei der Buchung eines Transports nicht vorschriftsgemäß angemeldet werden. „Bislang war aber niemand in der Lage, verlässliche Zahlen dazu zu nennen“, erklärt Ken Rohlmann, Gefahrgutbeauftragter bei Hapag-Lloyd.

Die Hamburger Reederei hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, das Problem sichtbar zu machen, und „Cargo Patrol“ entwickelt. Dieses Suchprogramm überprüft fortlaufend alle Buchungen des Unternehmens und spürt verdächtige Fälle auf, die die Experten der Firma dann genau unter die Lupe nehmen. Für die Entwicklung von „Cargo Patrol“ hat Hapag-Lloyd nun den Innovationspreis Gefahr/gut 2017 erhalten.

Logo Innovationspreis GG 2017 1200
©Foto: Heinke Friedl

5000 Suchbegriffe im Katalog

Zweimal am Tag durchforstet das Programm heute den weltweiten Buchungsbestand der Reederei. Es gleicht die Cargo-Beschreibungen mit einer Liste von derzeit rund 5000 Begriffen ab, die durch die Operatoren „und“, „oder“ und „nicht“ verknüpft werden können. Zu den Suchwörtern gehören Proper Shipping Names, bekannte Handelsnamen und Synonyme, aber auch abfallrelevante, militärische und radioaktive Begriffe, teils basierend auf offiziellen Katalogen, teils auf der Erfahrung der Mitarbeiter. Und das System ist schnell erweiterbar: „Wenn wir hören, dass eine bestimmte Ware einen Unfall ausgelöst hat, können wir diesen Warennamen sofort als Suchbegriff eingeben“, sagt Rohlmann und ergänzt: „Alle Kollegen, die ein begründetes Interesse haben, etwas zu suchen, können sich mit eigenen Katalogen anschließen.“

Täglich meldet „Cargo Patrol“ im Schnitt rund 1200 potenzielle Treffer, für die umgehend ein Ladungsstopp verfügt wird. Damit diese verdächtigen Buchungen entsprechend ihres Risikos abgearbeitet werden, sind die Suchbegriffe in fünf Kategorien eingestuft. „Denn unsere Experten sollen zuerst die Treffer analysieren, die Leib und Leben unserer Besatzung und das Schiff gefährden“, erläutert Ken Rohlmann. Und weiter: „Vereinfacht gesagt ist es wichtiger, Sprengstoff zu untersuchen als einen Eimer Farbe.“

In jedem Verdachtsfall befragen die Fachleute von Hapag-Lloyd den Auftraggeber, lassen sich weitere Unterlagen schicken, nehmen bei Bedarf Kontakt zu den zuständigen Behörden auf und beauftragen auch Labore mit Untersuchungen, um die Situation zu klären. Die abschließende Entscheidung, ob ein Container geladen wird oder nicht, liegt bei den Ladungsexperten der Reederei.

Bildschirm Cargo Patrol Hapag-Lloyd 1200

„Cargo Patrol“ durchsucht die Buchungen nach verdächtigen Begriffen.

©Foto: Rudolf Gebhardt

Von Jahresbeginn 2013 bis einschließlich März 2017 hat „Cargo Patrol“ laut den Angaben des Unternehmens 839.000 verdächtige Buchungen gemeldet. Genau 13.564 davon entpuppten sich bei näherem Hinsehen als Treffer, die nachweislich falsch deklarierte Ladung enthielten. Im Durchschnitt bleiben also Tag für Tag zehn Buchungen im Hafen stehen. Wobei eine Buchung nicht unbedingt einem Container entspricht, sondern auch zehn, 20 oder mehr dieser Transportbehälter umfassen kann.

Betrügerische Absicht

Hinter verdächtigen Buchungen steht nach den Erkenntnissen von Hapag-Lloyd leider oft betrügerische Absicht. Manche Versender versuchen so, Restriktionen beim Transport ihrer Waren zu umgehen. Andere wollen schlicht Kosten sparen. „Bei zehn Buchungen täglich, deren vorschriftsmäßige Beförderung wegen ihres gefährlichen Inhalts aufwendiger wäre und vielleicht 500 Euro pro Container mehr gekostet hätte, sprechen wir von mindestens 1,8 Millionen Euro im Jahr“, rechnet Hapag-Lloyd-Kommunikationschef Nils Haupt vor. Und: „Um diese Summe wären wir sonst betrogen worden.“

Die Methoden der Betrüger sind vielfältig. Da werden etwa Sicherheitsdatenblätter übermittelt, bei denen ganze Bereiche verändert, gelöscht oder ergänzt wurden. Manipulierte Laborberichte aus Südostasien sind mit dem Logo bekannter europäischer technischer Überwachungsvereine versehen. Oder die problematische Ladung wird hinter nichtssagenden Handelsnamen und Synonymen versteckt. „Ein Beispiel ist Ammoniumnitrat, das unter anderem als Düngemittel verwendet wird. Da wird oft ‚plant growth regulator‘ als Cargo-Description genommen“, weiß Rohlmann. Für Kalziumhypochlorit, so der Gefahrgutbeauftragte weiter, gebe es 25 Synonyme wie „HTC“ oder „bleaching powder“. Oder Divinylbenzen, dessen falsche Verstauung wahrscheinlich Ursache der Brandkatastrophe auf der MSC Flaminia im Jahr 2012 gewesen war: „Allein für diesen Stoff haben wir 41 Synonyme im Katalog.“

Nun bleiben abgewiesene Buchungen nicht im Hafen stehen. Oft genug versuchen unseriöse Firmen, die fraglichen Container einfach bei einer anderen Reederei anzumelden. Mangels Kontrollmöglichkeit, wie sie „Cargo Patrol“ bietet, kann der Seefrachtlogistiker die Falschdeklaration nicht erkennen und nimmt sie ohne die erforderlichen Vorkehrungen mit. Oder reicht die Buchung als Kooperationspartner am Ende an Hapag-Lloyd weiter. „Wir sind immer nur so gut wie der schwächste Partner, der uns Ladung an Bord stellt“, umreißt Ken Rohlmann das Problem und ergänzt: „Wir können heute sagen, 0,059 Prozent aller weltweit beförderten TEU enthalten nicht korrekt deklarierte Ladung.“ Auf den ersten Blick eine verschwindend geringe Menge. Setzt man die Zahl aber ins Verhältnis zu den neun Millionen TEU, die im Jahr 2016 allein im Hamburger Hafen umgeschlagen wurden, heißt das: 5310 Container mit unbekanntem Inhalt im Herzen einer Millionenstadt und keinerlei Hinweis, welche Maßnahmen bei einem Notfall zu ergreifen sind.

Hapag-Lloyd will das Suchprogramm nun auch anderen Unternehmen zur Verfügung stellen. „Aus wettbewerbsrechtlichen Gründen können wir unser System nicht selbst für andere nutzen. Die Idee war also, es auf einer neutralen Plattform von einem neutralen Dienstleister betreiben zu lassen“, berichtet Ralf Huesmann, Senior Director IT der Reederei. Diesen Dienstleister fand man im Softwarekonzern IBM, der das komplette Programm übernehmen und weiterentwickeln soll, etwa im Hinblick auf eine Bilderkennung und weitere Funktionalitäten, die die Anwender bei ihren Entscheidungen unterstützen können.

Rohlmann HL Weisshuhn IBM 1200

Projektpartner: Ken Rohlmann (li.), Hapag-Lloyd, und Oliver Weisshuhn, IBM.

©Foto: Rudolf Gebhardt

Schon bald verfügbar

Bei IBM ist das Projekt schon weit gediehen. „Seit Ende letzten Jahres installieren wir die Lösung auf unserem Rechenzentrum und führen Tests mit ausgewählten Kunden durch“, erläutert Oliver Weiss­huhn, bei dem IT-Unternehmen für das Projekt zuständig. Deshalb sei man voraussichtlich bereits Anfang des dritten Quartals 2017 in der Lage, „Cargo Patrol“ als Produkt anzubieten. Die Kosten, so Weisshuhn, werden auf einen geringen Centbetrag pro kontrolliertem Datensatz hinauslaufen.

Großes Interesse an der Lösung hat der IT-Spezialist nicht nur bei Reedern, sondern auch im Bereich Luftfracht und bei den vorgelagerten Spediteuren festgestellt. Seine Vision ist deshalb, „eine Art Kooperationsplattform für alle beteiligten Logistikdienstleister zu schaffen, die im Sinne der Transportsicherheit Daten und Begriffe bereitstellen“.

Rudolf Gebhardt 

Videofilm Cargo Patrol: So funktioniert's.

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