Innovationspreis GEFAHR/GUT: Den ersten Schritt qualifizieren

Für eine Klassifizierung müssen 250 bis 600 Parameter berücksichtigt werden, abhängig von Stoffeigenschaften und Risiken.
©Foto: TECVIA GmbHEin Sicherheitsdatenblatt (SDB) gilt als das wichtigste Kommunikationsmittel innerhalb der Lieferkette eines gefährlichen Stoffes oder Gemisches. Hersteller, Formulierer oder Importeure üben sich weltweit seit über 40 Jahren darin, die gesetzliche Anforderung zur Einstufung mit allen sicherheitsrelevanten Elementen umzusetzen.
Die vollständige Klassifizierung eines Gefahrstoffes als Gefahrgut mit der korrekten Auswahl einer UN-Nummer in Abschnitt 14 des SDB stellt allerdings selbst qualifizierte Experten bis heute vor besondere Herausforderungen.
Einem interdisziplinären Team des Chemieunternehmens BASF ist es nun gelungen, den bisher hauptsächlich manuellen Prozess durch eine Kombination komplexer Algorithmen und Techniken der künstlichen Intelligenz (KI) weitgehend zu automatisieren. Für diese Lösung hat das Unternehmen den Innovationspreis GEFAHR/GUT 2025 erhalten.

Der Innovationspreis ist Ende Mai 2025 zum 19. Mal vergeben worden.
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Der Innovationspreis Mit der Vergabe des Innovationspreises GEFAHR/GUT prämiert fokus GEFAHR/GUT alle zwei Jahre ein Unternehmen für eine innovative technische oder logistische Lösung, die zur Erhöhung der Sicherheit beim Gefahrguthandling beiträgt. |
Entscheidungsbäume nutzen
Der Prozess beginnt mit einem Webformular, in dem der Benutzer die Stoffnummer des zu klassifizierenden Datensatzes einträgt. Daraufhin ruft die Anwendung, unter Nutzung eines Robotic Process Automation (RPA) Bots, die stoffbezogenen chemischen Eigenschaften ab. Im nächsten Schritt werden die Eigenschaften standardisiert und formatiert.
Es geht weiter: Mittels Regeln und Algorithmen werden die relevanten Risikotypen bestimmt und sortiert. Darauf basierend, wird der zu klassifizierende Stoff automatisch an das am besten geeignete maschinelle Lernmodell (ML-Modell) weitergeleitet, um passende UN-Nummern zu ermitteln.
„Die Klassifizierung mittels maschineller Lernmodelle berücksichtigt alle vorherigen Ergebnisse der definierten Logik zu Gefahrenkategorien, Verpackungsgruppen und der überwiegenden Gefahr, um die passendste UN-Nummer zu wählen“, erklärt Projektleiter Alexander Goerke.
„Während der Entwicklung wurde deutlich, dass ein einzelnes ML-Modell nicht in der Lage ist, alle verbleibenden Datensätze akzeptabel vorherzusagen.“ Die Häufigkeit der zugewiesenen UN-Nummern wies starke Unterschiede auf: Im BASF-eigenen Datenpool fielen auf zehn Prozent der UN-Nummern etwa 70 Prozent aller Einstufungen. Um diesem Ungleichgewicht entgegenzuwirken, wurden alle UN-Nummern separiert, die allein durch Regelwerke ermittelt werden können. Die übrigen UN-Nummern wurden in zusammengehörige Cluster (Risk type Buckets, RTB) sortiert, basierend auf der Übereinstimmung der Haupt- und Nebengefahren. Für jedes Cluster wurde ein spezifisches maschinelles Lernmodell (ML-Modell) mittels eines ausgewählten Datensatzes trainiert.
„Erst die Verwendung mehrerer ML-Modelle erhöhte die Ergebnisqualität auf ein akzeptables Maß. Derzeit beinhaltet ProDanGo 12 Cluster, von denen neun die UN-Nummer mit einem eigenen ML-Modell ermitteln“, erläutert Shreayas Krishnamurthy, Leitender Entwickler der Software und des Webportals.
Um die Evaluierung der Vorschläge so benutzerfreundlich wie möglich zu gestalten, ist die Webanwendung auf die Bedürfnisse der Gefahrgutklassifizierer zugeschnitten. Sie bietet eine vereinfachte Darstellung aller einstufungsrelevanten Daten. Die Rohdaten aus der Vorverarbeitung sind in Dropdown Listen eingeteilt: GHS-Klassifizierung und -Markierung, physikalische und chemische Eigenschaften und die Zusammensetzung sowie Informationen zu den Komponenten sind hier zu finden. So können Gefahrgutexperten auf einen Blick alle einstufungsrelevanten Daten einsehen.
Die Klassifizierungsvorschläge beinhalten: UN-Nummer, die Klassen der Haupt- und gegebenenfalls der Nebengefahren, Verpackungsgruppe, Information zur Umweltgefährlichkeit und eine Konfidenzangabe. Zur besseren Nachvollziehbarkeit werden neben den Vorschlägen auch die Ergebnisse des deterministischen Teils dargestellt. Alle erkannten Gefahrgutklassen werden mit der jeweiligen Verpackungsgruppe aufgelistet sowie das verwendete ML-Modell in Form des Risk-Type Buckets wird genannt.
Zudem erscheint ein Hinweisfeld bei fehlenden Daten. Bei bestimmten Szenarien (wie der Berechnung der Volatilität für die Klasse 6.1) informiert das System, dass eine eingehendere Begutachtung durch das Fachpersonal benötigt wird.
„Durch die Harmonisierung der Gefahrgutvorschriften Anfang der 2000er-Jahre ist vieles einfacher geworden“, berichtet Daniela Nühlen-Hövel, die das Projekt in 2018 angestoßen hat und bis heute begleitet. „Wir haben immer weniger Zeit für immer mehr Stoffe, die wir einstufen müssen und dazu immer mehr beachten müssen. Dabei ist eine richtige Klassifizierung entscheidend für den weiteren operativen Prozess. Hier müssen wir pingelig sein. „Die Tatsache, dass eine neue Technik zur Verfügung steht, ließ uns ein Projekt in Angriff nehmen, dass unsere Arbeit wirklich erleichtert.“
ProDanGo wird bei BASF bereits im Tagesgeschäft verwendet. Dabei werden sowohl die Ergebnisse als auch die Zwischenschritte überwacht. „Die Qualität überzeugt“, sagt Lisa Hartmann, Executive Specialist DG, die die Validierung der Daten überwacht.
Seltene, unterrepräsentierte Gefahrenkombinationen, beispielsweise die Kombination von Klasse 8 und Klasse 6.1 benötigten noch weitere Trainingsdaten, daran werde gearbeitet.

Der harte Kern des Entwicklungsteams (von links): Shreyas Krishnamurthy (Lead Architect), Alexander Goerke (Project Leader), Daniela Nühlen-Hövel (Executive Specialist Transport Classification), Lisa Hartmann (Executive Specialist DG) und Victor Bandlow (Manager DG-Classification & Packaging).
©Foto: D. Schulte-Brader | TECVIA GmbHWie es weitergeht
Das Verfahren wurde im September 2024 beim europäischen Patentamt eingereicht. Noch in diesem Jahr soll das Tool weltweit bei BASF ausgerollt werden, weitere Fachgebiete werden voraussichtlich noch eingebunden.
ProDanGo funktioniert systemunabhängig und könnte auch von anderen Unternehmen genutzt werden. Die BASF-Datensätze, mit denen das System trainiert wurde, bilden dabei das (geschützte) Hintergrundwissen. „Das ist ähnlich wie bei ChatGPT“, erklärt der Produkteigner Victor Bandlow. „Das antrainierte Element bleibt, weitere Trainingseinheiten sind möglich.“
Daniela Schulte-Brader
Die bisherigen Preisträger: 2003 – Kraftwerk Mehrum |
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