Innovationspreis GEFAHR/GUT

12.06.2019 Praxisbericht

Innovationspreis Gefahr/gut: Brandgefahr beseitigt

Für die Entwicklung des Retron-Systems zur sicheren Entsorgung kritisch defekter Lithium-Ionen-Batterien hat Remondis Industrie Service den Innovationspreis Gefahr/gut 2019 erhalten.
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Stolz auf das Retron-System: (v. li.) Assistent der Geschäftsleitung Lukas Fast, Projektleiter Christian Kürpick und Geschäftsführer Robert Sonnenschein.

©Foto: Rudolf Gebhardt

Lithiumbatterien werden weltweit als effiziente Energieträger geschätzt, zunehmend auch im Bereich Mobilität. Die Nachfrage nach E-Bikes, E-Cars und anderen Fahrzeugen mit Elektroantrieb lässt den Bedarf an großen Akkumulatoren auf Lithiumbasis ständig weiter­wachsen.

Die Kehrseite der Medaille: Lithiumbatterien sind als Gefahrgut eingestuft und müssen beim Transport vorschriftsgemäß verpackt und gehandhabt werden. Das gilt umso mehr am Ende ihrer Lebensdauer, also auch bei der Beförderung defekter, vor allem aber kritisch defekter Lithium-Ionen-Batterien. „Diese Batterien können thermisch reagieren, weswegen ein Schutzsystem für den Abtransport zur Entsorgung bereitgestellt werden muss“, weiß Robert Sonnenschein, Geschäftsführer Remondis Industrie Service im westfälischen Lünen.

Das Entsorgungsunternehmen hat sich der Problematik angenommen und unter dem Namen „Retron“ ein System entwickelt, mit dem auch kritisch defekte Lithiumbatterien sicher gelagert und befördert werden können. Für die Entwicklung dieses Systems ist Remondis nun mit dem Innovationspreis Gefahr/gut 2019 ausgezeichnet worden.

Das System basiert auf dem Sonderabfallbehälter ASP (Abfall-Sammelbehälter für pastöse und feste Stoffe), den ein Projektteam des Entsorgers umfunktioniert und auf die Gefahren von Batteriebränden ausgelegt hat. Der dabei entstandene Behälter ist in drei verschiedenen Größen verfügbar: als Retron 240 im Grundflächenmaß 715 x 715 Millimeter bei einer Höhe von 845 Millimetern sowie als Retron 460 und 600 im Europalettenmaß 1000 x 1200 Millimeter und einer Höhe von 825 beziehungsweise 1025 Millimetern. Hergestellt werden die Gefahrgutkisten von der Firma ESE im nordrhein-westfälischen Wenden-Gerlingen.

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©Foto: Verlag Heinrich Vogel

Außen nicht über 100 Grad

Alle Retron-Behälter haben eine UN-Zulassung als Kiste aus Stahl für Verpackungsgruppe I (4A/X) und sind innen mit einer 30 Millimeter starken Isolationsschicht aus vakuumierten Mineralstoffplatten versehen. Sollte es zu einem Batteriebrand kommen, sorgt diese Isolierung dafür, dass selbst bei einer Innentemperatur von 1000 Grad Celsius die Außenwände 72 Stunden lang nicht heißer als 100 Grad werden. Remondis hat dafür eine Festlegung der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung BAM erhalten.

Bevor sie in den Behälter kommen, müssen die beschädigten Batterien laut Festlegung in einer eigens entwickelten Textiltasche verstaut werden. Eine Schicht aus Blähgrafit im Textil schäumt ab einer Temperatur von 80 °C auf eine Stärke von 50 Millimetern auf und unterbindet so die Ausbreitung eines Brandes. Freiräume im Behälter werden mit Mineralwollkissen gefüllt, um die Bildung einer explosiven Atmosphäre zu verhindern. Gase, die bei einer Havarie im Inneren entstehen, leitet ein Überdruckventil nach außen ab. Das Ventil ist zudem auf der Außenseite mit einem Gewinde versehen, an dem sich beispielsweise der Schlauch einer Absauganlage anschließen lässt. Loses Streumaterial wie etwa Vermiculit oder integrierte Löschsysteme kommen nicht zum Einsatz. „Somit ist ein BAM-zertifiziertes Behältersystem entstanden, mit dem wir kritisch defekte Batterien aller Zellchemien bis zu 30 Kilogramm Gewicht transportieren dürfen“, fasst Geschäftsführer Sonnenschein zusammen und ergänzt: „Der Behälter ist aus unserer Sicht narrensicher.“

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Die Batterien werden in Taschen aus Spezialtextil im Behälter verstaut. Kissen mit Mineralwolle füllen die Freiräume aus.

©Foto: Rudolf Gebhardt

Leichtes Handling

Staplertaschen, Kranösen, Stoßschutzmatten und Profilleisten für die Ladungssicherung im Inneren sowie ein über 90 Grad zu öffnender Deckel mit Federung und Stellstange erleichtern das Handling der Behälter in der Logistikkette. Ein entscheidender Vorteil vor allem im Hinblick auf die zweite Komponente des Retron-Systems: Den Wechsel von vollen gegen leere Stahlkisten im Mietmodell. Dabei stellt Remondis dem Kunden auf dessen Betriebsgelände einen leeren Behälter der gewünschten Größe zur Verfügung. Ist die Kiste gefüllt, holt sie der Entsorger ab, wechselt sie gegen eine leere aus und der Kreislauf beginnt von vorne. Benötigt ein Unternehmen im Lager oder in der Produktion eine sichere Unterbringungsmöglichkeit für Batterien, sind die Behälter auch käuflich zu erwerben.

Die Kosten für die Mietlösung sind abhängig von der Laufzeit der Vereinbarung. „Die Preise liegen hier zwischen 68 und 118 Euro pro Monat“, erklärt Projektleiter Christian Kürpick. Und beim Kauf? „Je nach Behältergröße zwischen 3414 und 4627 Euro als unverbindliche Preisempfehlung“, so Kürpick weiter.

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Dank Staplertaschen und Kranösen können die Behälter leicht ver- und entladen werden.

©Foto: Rudolf Gebhardt

Wachsende Nachfrage

Als Zielgruppe des Retron-Systems sehen die Remondis-Experten vor allem Anwender, die überwiegend mit vielen großen und unterschiedlichen Lithium-Ionen-Batterien umgehen. „Das ist zum einen die Batterieindustrie, aber auch die Fahrradhändler und -hersteller, die in ihren Lägern und den Produktionsstraßen sehr viele Batterien liegen haben“, zählt Robert Sonnenschein auf. Denn man könne einer beschädigten Batterie leider nicht ansehen, ob sie thermisch reagieren wird, und deshalb sei es so wichtig, sie möglichst schnell aus dem Verkehr zu bringen. Zunehmend wachse darüber hinaus die Nachfrage aus der Automobilindustrie.

Die ersten Retron-Behälter wurden Ende Januar 2018 ausgeliefert. Mittlerweile sind rund 200 der Stahlkisten bei 60 Kunden im Einsatz, davon je ein Drittel in den Versionen 240, 460 und 600. Remondis Industrie Service hat deutschlandweit 58 Niederlassungen, von denen momentan 16 zum Retron-System gehören. „Das heißt, diese Niederlassungen haben die Behälter, die Fahrzeuge und entsprechend geschultes Personal“, sagt Lukas Fast, Assistent der Geschäftsführung. Und weiter: „Die 16 Niederlassungen sind so ausgewählt worden, dass wir ganz Deutschland bedienen können.“

Auch von der Zukunft hat man in der Lünener Firmenzentrale konkrete Vorstellungen. Derzeit arbeitet Remondis unter der Bezeichnung 750 an einer Stahlkiste mit breiterem Stellmaß, gedacht für komplette Hybridbatterien – eine Anforderung der Automobilindustrie. Eine Großverpackung mit drei mal zwei Metern Grundfläche bei einer Höhe von einem Meter wird schließlich die Modellpalette nach oben abrunden. „Die kann dann Batterien bis zu 750 Kilogramm aufnehmen“, erklärt Sonnenschein und ergänzt: „Noch im Sommer 2019 wollen wir mit diesem Behälter auf den Markt kommen.“

Schnelleingreifsystem geplant

Doch es soll nicht bei der Entwicklung neuer, größerer Behälter bleiben: „Unsere Intention ist, ein Sonderabfall-Schnelleingreifsystem für kritisch defekte Lithium-Ionen-Batterien zu etablieren. Und zwar nicht nur deutschland-, sondern europaweit“, skizziert Robert Sonnenschein seine Pläne. Binnen 24 bis 48 Stunden sollen die Entsorgungsprofis dann vor Ort sein, um eine Batterie zu bergen. „Ich wünsche mir, dass wir dieses System in Deutschland bis Ende des Jahres stehen haben“, lautet das Fazit des Remondis-Geschäftsführers.

Rudolf Gebhardt

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