Gefahrgutbeauftragter

02.05.2025 Fachbeitrag

Gefahrgutlogistik: Über den Tellerrand

Für gefährliche Güter bestehen auch außerhalb des Verkehrsrechts Rechtsvorschriften, beispielsweise für anlagebezogene Anforderungen.

Tankfahrzeuge sind auch Arbeitsmittel. Dann reicht ein Blick durch die Brille der Gefahrgutvorschriften nicht.

©Foto: Daniela Schulte-Brader |TECVIA GmbH

Stellen wir uns vor, es ist der erste Tag eines Lehrgangs zum Erwerb der Sachkunde für Gefahrgutbeauftragte. Der Raum ist gefüllt mit neugierigen Teilnehmern, die gespannt darauf sind, mehr über die komplexe Welt der Gefahrgutbeförderung zu erfahren.

Der Dozent tritt nach vorne und beginnt, wie im Lehr- und Unterrichtsplan vorgesehen, mit der Vorstellung des Gesetzes über die Beförderung gefährlicher Güter, kurz GGBefG.

„Das GGBefG“, erklärt er, „ist unser Grundgesetz für die Gefahrgutbeförderung in Deutschland. Es legt die grundlegenden Regeln und Vorschriften fest, die sicherstellen, dass gefährliche Güter sicher und ordnungsgemäß transportiert werden.“

Er fährt fort mit Paragraf 1, „Geltungsbereich“, und betont Absatz 2 Nummer 1: „Das GGBefG berührt nicht Rechtsvorschriften über gefährliche Güter, die aus anderen Gründen als aus solchen der Sicherheit im Zusammenhang mit der Beförderung erlassen sind.“

„Dieser Wortlaut“, so der Ausbilder, „ist seit 50 Jahren unverändert1).

Im Jahr 1980 plante die Bundesregierung eine Ergänzung des Gefahrgutgesetzes, die klarstellen sollte, dass bestimmte Sachverhalte bereits durch bestehende Rechtsvorschriften geregelt sind, um Doppelregelungen zu vermeiden. Diese Ergänzung betraf Anforderungen an Umschließungen, Container, Kennzeichnung, Bezettelung und Fahrzeuge sowie das Zusammenpacken und Trennen gefährlicher Güter während der Beförderung. Die Bundesländer widersprachen jedoch dieser Ergänzung. Sie argumentierten, dass die Vorschriften des Gefahrgutrechts nicht gegenüber anderen Rechtsgebieten, wie dem Strahlenschutzrecht, vorrangig sein sollten. Stattdessen sollten diese Rechtsgebiete selbst regeln, in welchem Umfang ihre Vorschriften Vorrang haben. Daher blieb es bei der bisherigen Regelung2).

Das Ziel der Regelungen in § 1 Abs. 2 Nr. 1 des Gefahrgutgesetzes ist es, alle einschlägigen Regelungen anzuwenden, wenn sowohl die Definition der Lagerung als auch des zeitweiligen Aufenthalts erfüllt sind.

Dies bedeutet, dass die Regelungen verschiedener Rechtsbereiche nebeneinanderstehen und sich ergänzen. Anforderungen an den Bau und die Ausrüstung von Anlagen für den zeitweiligen Aufenthalt während der Beförderung werden durch Vorschriften des Bau- und Umweltschutzrechts bestimmt.

Leider erfahren Lehrgangsteilnehmer oft nichts von diesen Hintergründen, da die Dozenten sich nicht ausreichend auskennen und die Zeit knapp ist. So bleibt ihnen nur die Erkenntnis aus § 2 Absatz 2 GGBefG im Gedächtnis: „Zeitweilige Aufenthalte im Verlauf der Beförderung gehören zur Beförderung dazu.“ Dass die Realität komplexer ist, erfahren sie möglicherweise erst im Nachgang zu einem Schadensfall, wenn Behörden nach unbekannten Sachverhalten fragen. Das sollte vermieden werden.

Beförderung

Wer „gefährliche Güter“ im Sinne des § 2 Absatz 1 GGBefG gemäß § 2 Absatz 2 Satz 1 GGBefG „befördert“, muss sich auch mit anderen Rechtsgebieten auseinandersetzen, je nach Gefahrgutklasse:

  • Gefahrgutklasse 1 „explosiv“: Hier sind in Deutschland zusätzlich das Sprengstoff- und das Waffenrecht relevant.
  • Gefahrgutklasse 7 „radioaktiv“: Hier greifen in Deutschland das Atom- und das Strahlenschutzrecht.
  • Abfälle im Sinne des Abfallrechts: Hier sind sowohl das deutsche als auch das EU-Abfallrecht zu beachten.

Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Beförderung gefährlicher Güter oft mehrere Rechtsgebiete berührt.

Zeitweiliger Aufenthalt

Während der Ortsveränderung eines Gutes kann es notwendig sein, das Transportmittel zu wechseln. Dies kann auf zwei Arten geschehen:

  • Direkter Umschlag: Das Gut wird unmittelbar von einem Transportmittel auf ein anderes umgeladen. Beispiel: Ein Container wird direkt von einem Lkw auf einen Bahntragwagen verladen.
  • Indirekter Umschlag: Das Gut wird aus einem Transportmittel entladen, in einem Gebäude oder im Freien abgestellt und dann wieder in ein anderes Transportmittel verladen. Gefahrgutrechtlich handelt es sich hierbei um einen zeitweiligen Aufenthalt im Verlauf der Beförderung. Das ADR enthält hierzu nur eine besondere Anforderung in Abschnitt 7.5.4.

Gefahrstoffrechtlich kann dieser Vorgang entweder als Bereitstellen zur (Weiter-)Beförderung oder als Lagern betrachtet werden. Die genaue Einordnung ergibt sich aus Tabelle in den Spalten 1 und 2. Auch wasserrechtlich und störfallrechtlich kann es sich entweder um Umschlagen oder Lagern handeln, was ebenfalls aus der dargestellten Tabelle in den Spalten 3, 4 und 5 hervorgeht.

Tabelle: Wann hört die Bereitstellung zur (Weiter-) Beförderung auf, wann fängt die Lagerung an?

©Foto: Norbert Müller

Bereitstellung (Weiter-)Beförderung

Spalte 1: Seit 1990 ist diese Regelung in der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) verankert und sollte daher allgemein bekannt und akzeptiert sein. Wenn die (Weiter-)Beförderung innerhalb von 24 Stunden nach Beginn der Bereitstellung oder am folgenden Werktag erfolgt, unterliegt dies ausschließlich der GefStoffV. Für diese Tätigkeit sind jedoch folgende Maßnahmen erforderlich:

  • Gefährdungsbeurteilung
  • Gefahrstoffverzeichnis mit den dazugehörigen Sicherheitsdatenblättern (oft nicht umsetzbar, daher ist eine Ausnahmezulassung der zuständigen Arbeitsschutzbehörde gemäß
    § 19 Absatz 1 GefStoffV erforderlich)
  • Betriebsanweisung
  • Unterweisung
  • Immissionsschutzrechtliche Relevanz

Spalte 2: Da das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und die 4. BImSchV keine spezifische Definition des Begriffs „Lagern“ enthalten, erlaubt ein obergerichtliches Urteil die Anwendung des Lagerbegriffs der GefStoffV. Ein Beispiel: Wer mehr als zwei Tonnen UN 1790 Flusssäure (z. B. drei IBC) über einen Zeitraum von mehr als 24 Stunden zur Weiterbeförderung bereitstellt, betreibt ein immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiges Lager.

Anlagenbezogener Gewässerschutz

Spalten 3 + 4: Im Gewässerschutzrecht erfolgt die Abgrenzung zwischen Umschlagen/Umladen und Lagern nicht zeitlich, sondern über die Begriffe „vorübergehend“ und „regelmäßig“. Ein regelmäßiges Bereitstellen wassergefährdender Stoffe zur Weiterbeförderung gilt nicht mehr als Umschlagen/Umladen, sondern als Lagern. Die Anforderungen an Anlagen zum Umschlagen/Umladen unterscheiden sich jedoch nur geringfügig von denen an Anlagen zum Lagern.

Störfallrechtliche Relevanz

Spalten 5 + 6: Für die Anwendung der 4. BImSchV und der 12. BImSchV kann man sich mangels einer störfallrechtlichen Definition des Begriffs „Lagerung“ am Lagerbegriff der GefStoffV orientieren. Das Risiko, dass eine Umladeanlage in den Anwendungsbereich der Störfallverordnung fällt, ist aufgrund der hohen Mengenschwellen der 12. BImSchV jedoch praktisch null, selbst bei Beachtung der Additionsregel.

Unberührtheitsklauseln

Nicht nur das Gefahrgutbeförderungsgesetz (GGBefG) enthält in § 1 Absatz 2 Nr. 1 eine Unberührtheitsklausel, sondern auch die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) und das Überwachungsanlagen-Gesetz (ÜAnlG) haben ähnliche Regelungen.

Gefahrstoffverordnung (GefStoffV)

Gemäß § 1 Absatz 3 Satz 4 GefStoffV bleiben die Vorschriften des GGBefG und der darauf gestützten Rechtsverordnungen unberührt. Zusätzlich gelten die Abschnitte 3 bis 6 der GefStoffV für Tätigkeiten, bei denen die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten durch Stoffe, Gemische und Erzeugnisse gefährdet sein kann. Diese Regelungen gelten auch, wenn die Sicherheit und Gesundheit anderer Personen aufgrund von Tätigkeiten gefährdet sein können, die durch Beschäftigte oder Unternehmer ohne Beschäftigte ausgeübt werden. Diese Vorschriften finden auch Anwendung auf Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Beförderung von Stoffen, Gemischen und Erzeugnissen.

Ein Beispiel: Wenn ein Fahrzeugführer den Tank eines Tankfahrzeugs mit einem gefährlichen Stoff oder Gemisch gemäß GefStoffV befüllt oder entleert, handelt es sich um eine Tätigkeit, die unter die GefStoffV fällt. Hier sind die §§ 3 bis 20 der GefStoffV zu beachten, wie etwa § 8 Absatz 2 in Verbindung mit der TRGS 201 für die zusätzliche gefahrstoffrechtliche Kennzeichnung des Tanks.

Gesetz über überwachungsbedürftige Anlagen (ÜAnlG)

Das ÜAnlG und die darauf gestützte Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV) gelten, soweit in anderen Rechtsvorschriften, wie dem ADR, keine entsprechenden oder weitergehenden Vorschriften vorgesehen sind (§ 1 Absatz 3 Nr. 2 ÜAnlG).

In den LASI-Veröffentlichungen zu den Leitlinien zur Betriebssicherheitsverordnung wurde folgende Frage zu Explosionsgefährdungen gestellt: Sind Tankfahrzeuge Arbeitsmittel und Anlagen in explosionsgefährdeten Bereichen (Ex-Anlagen) im Sinne der BetrSichV und welche Prüfungen sind durchzuführen?

Die sinngemäße Antwort lautete: Ja, ein Tankfahrzeug ist ein Arbeitsmittel, das vom Arbeitgeber dem Arbeitnehmer (Tankfahrzeugfahrer) zur Verfügung gestellt wird. Daher muss der Arbeitgeber die Anforderungen der BetrSichV umsetzen, einschließlich der Prüfungen nach §§ 14 bis 16 BetrSichV, sofern die nach StVO und ADR vorgeschriebenen Prüfungen und Prüffristen nicht gleichwertig sind.

  • Prüfungen des Fahrzeugs: Die Prüfungen nach Kapitel 9 ADR und StVO sind den Prüfungen nach § 14 BetrSichV gleichwertig.
  • Prüfungen des Fahrzeugbehälters (Tank): Die Prüfungen nach Kapitel 6.8 ADR entsprechen den Prüfungen nach §§ 15 und 16 BetrSichV.

Allerdings werden nach ADR die explosionsschutzrelevanten Teile des Tankfahrzeugs, wie flammendurchschlagsichere Armaturen und Einrichtungen in einem Armaturenschrank, nicht geprüft. Da diese Teile als Ex-Anlagen nach Anhang 2 Abschnitt 3 Nr. 2 BetrSichV gelten, müssen sie gemäß §§ 15 und 16 in Verbindung mit Anhang 2 Abschnitt 3 BetrSichV geprüft werden (LASI: LV 35, Frage E 1.2).

Fazit

Werden solche Inhalte im Lehrgang für Gefahrgutbeauftragte vermittelt? Diese Informationen werden bedeutsam werden, wenn es nach einem Schadensfall zu einer Untersuchung kommt.

Die Medaille hat immer zwei Seiten. Über den Tellerrand zu schauen, lohnt sich. Wer böse Überraschungen im Nachgang zu einem Ereignis vermeiden will, sollte sich vorher umfassend informieren und weiterbilden.

Norbert Müller
ö.b.u.v. Sachverständiger für Gefahrguttransport und -lagerung, Duisburg

Quellen:

1 BGBl. I Nr. 95 vom 12.08.1975
2 Bundestag Drucksache 13/10158

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