Digitale Schulungen: Weckruf für die Weiterbildungsbranche

Onlineschulungen mit Dozenten und Teilnehmern gleichzeitig im digitalen Raum bleiben zulassungsfrei. Alles andere ist zu prüfen.
©Foto: Anastasiia Torianyk | picture-alliance ZoonarDas Gesetz zum Schutz der Teilnehmer am Fernunterricht – kurz Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) – fristet in vielen Unternehmen ein Schattendasein. Umso überraschender ist die Welle, die ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) nun auslöst: Mit seiner Entscheidung vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24) stellt der BGH klar, dass das FernUSG auch auf gewerbliche Anbieter von Schulungen, Workshops und Coaching-Programmen Anwendung findet – und zwar unabhängig davon, ob die Teilnehmenden Verbraucher oder Unternehmer sind.
Das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) stammt aus dem Jahr 1976 und wurde zuletzt im Jahr 2000 überarbeitet – aus heutiger Sicht wirkt es wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Doch gerade in der Ära nach der Coronapandemie, in der sich Schulungen und Weiterbildungen zunehmend in den digitalen Raum verlagert haben, gewinnt das Gesetz unerwartet an Relevanz.
Die Nachfrage nach Onlinekursen ist stark gestiegen, und viele Unternehmen setzen auf externe Anbieter, um ihre Mitarbeitenden flexibel und ortsunabhängig weiterzubilden. Was dabei oft übersehen wird: Sobald ein Fernlehrgang über reine Freizeitgestaltung oder Unterhaltung hinausgeht, greift das FernUSG. Und das bedeutet: Eine behördliche Zulassung durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) ist Pflicht.
Der Zweck dieses Zulassungsvorbehalts ist klar: Die Teilnehmenden sollen vor unseriösen Angeboten geschützt werden. Die ZFU prüft Lehrinhalte und -materialien auf Qualität, Struktur und pädagogische Eignung – bevor der Kurs überhaupt angeboten werden darf. Damit soll sichergestellt werden, dass Fernunterricht nicht nur technisch funktioniert, sondern auch didaktisch sinnvoll ist.
Zulassungspflicht erkunden Die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) schreibt auf ihrer Website: |
Rückzahlungsansprüche
Müssen digitale Schulungen, Workshops oder Unterweisungen, die Unternehmen extern einkaufen, tatsächlich vorab von der Behörde zugelassen werden? Genau diese Frage stand im Mittelpunkt eines Rechtsstreits, mit dem sich der Bundesgerichtshof (BGH) auseinandergesetzt hat.
Im konkreten Fall ging es um ein hochpreisiges Business-Mentoring-Programm. Der Anbieter verlangte die Vergütung – der Teilnehmer verweigerte die Zahlung mit dem Hinweis, das Programm sei als Fernunterricht einzustufen und daher ohne behördliche Zulassung durch die ZFU nicht rechtswirksam. Der BGH gab dem Kläger recht: Ohne Zulassung kein Anspruch auf Vergütung.
Seitdem herrscht Unruhe in der Weiterbildungsbranche. Anbieter von digitalen Schulungen – beispielsweise zur Ladungssicherung, zur TRGS 510 oder zu anderen Fachthemen – fragen sich, ob auch sie ihre Vergütungsansprüche verlieren könnten, wenn ihnen die ZFU-Zulassung fehlt. Unternehmen wiederum prüfen, ob sie Rückzahlungsansprüche für bereits durchgeführte, aber nicht zugelassene Schulungen geltend machen sollten.
Wichtig ist jedoch eine Differenzierung: Es geht nicht darum, ob eine fehlende Zulassung automatisch bedeutet, dass ein Unternehmen seine Schulungsverpflichtung nicht erfüllt hat. Diese Frage beträfe die inhaltliche Qualität der Schulung – nicht die formale Zulassung. Dennoch zeigt das Urteil: Wer digitale Wissensvermittlung anbietet, muss sich mit dem FernUSG auseinandersetzen – und zwar dringend.
Nicht jede digitale Schulung fällt automatisch unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG). Entscheidend ist, ob es sich tatsächlich um „Fernunterricht“ im Sinne des Gesetzes handelt. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) bringt hier wichtige Klarheit – und zeigt, worauf Anbieter und Unternehmen künftig achten müssen.
Drei Kriterien
Die Zulassungspflicht durch die Staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) greift nur dann, wenn diese drei zentralen Kriterien erfüllt sind:
- Es werden entgeltlich Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt, also nicht bloß Unterhaltung oder Freizeitgestaltung angeboten.
- Lehrende und Lernende sind räumlich getrennt, und zwar ausschließlich oder überwiegend – etwa bei Onlinekursen, Webinaren oder E-Learning-Modulen.
- Der Lernerfolg wird überwacht, sei es durch Rückfragen, Feedback, Tests oder andere Formen der Kontrolle durch den Anbieter oder dessen Beauftragte.
Schneller, als man denkt
Man könnte meinen, das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) greife nur bei klassischen Ausbildungslehrgängen mit Prüfung. Doch wer sich nach dem BGH-Urteil vom 12. Juni 2025 (Az. III ZR 109/24) entspannt zurücklehnt, wird eines Besseren belehrt. Denn die Voraussetzungen für die Zulassungspflicht sind weiter gefasst, als viele Anbieter vermuten.
Der BGH stellt klar: Es kommt nicht auf die Tiefe oder Komplexität der vermittelten Inhalte an. Eine „Mindestqualität“ der Kenntnisse oder Fähigkeiten ist nicht erforderlich. Vielmehr genügt – wie es bereits in der Gesetzesbegründung heißt – die Vermittlung „jeglicher“ Kenntnisse und Fähigkeiten, gleichgültig welchen Inhalts. Ob es um Ladungssicherung, Gefahrstofflagerung oder Soft Skills geht: Sobald Inhalte gegen Entgelt vermittelt werden, ist die erste Voraussetzung erfüllt.
Auch die dritte Voraussetzung – die Überwachung des Lernerfolgs – wird vom BGH großzügig ausgelegt. Es reicht bereits, wenn der Lernende laut Vertrag das Recht hat, in einer begleitenden Veranstaltung mündliche Fragen zum Stoff zu stellen und dadurch eine individuelle Rückmeldung zu erhalten. Mit anderen Worten: Schon die Möglichkeit, sich durch Rückfragen zu vergewissern, genügt als „Lernerfolgskontrolle“.
Mit dieser Auslegung fallen die allermeisten Schulungen auf dem Markt unter den Anwendungsbereich. Bleibt also die Frage, was heißt „ausschließlich oder überwiegend räumlich getrennt“, Nr. 2?
Synchron, asynchron
Digitale Schulungen sind längst Alltag: Lehrende und Teilnehmende begegnen sich nicht mehr im Seminarraum, sondern über Monitore und Lautsprecher im virtuellen Raum. Diese Form nennt man synchrone Schulung – sie findet in Echtzeit statt. Wird der Lehrinhalt hingegen als Aufnahme zum Selbststudium bereitgestellt, spricht man von asynchroner Schulung.
Zentrale Frage bleibt offen
Doch welche dieser Formen fällt unter das Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG)? Und wie sieht es mit Mischformen aus – etwa, wenn ein Vortrag live gehalten, später aber als Video zur Wiederholung bereitgestellt wird?
Genau diese Fragen lässt der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 12. Juni 2025 offen. Im konkreten Fall war das Business Mentoring Programm überwiegend asynchron gestaltet – und damit eindeutig als Fernunterricht einzustufen. Doch was ist mit hybriden Formaten, die synchron starten und asynchron weitergeführt werden?
Die Unsicherheit bleibt. Für Anbieter bedeutet das: Wer digitale Schulungen konzipiert, muss nicht nur auf Inhalt und Didaktik achten, sondern auch auf die Form der Vermittlung. Denn je nach Ausgestaltung kann die Zulassungspflicht durch die ZFU greifen – und ohne diese droht der Verlust des Vergütungsanspruchs.
Wo verläuft die Grenze?
Digitale Schulungen sind aus dem Unternehmensalltag nicht mehr wegzudenken. Doch mit dem BGH-Urteil zum Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG) rückt die Frage in den Fokus: Welche Formate sind zulassungsfrei – und wo beginnt die Pflicht zur behördlichen Genehmigung?
Synchrone Schulungen, bei denen Lehrende und Teilnehmende zeitgleich im virtuellen Raum miteinander kommunizieren, gelten weiterhin als zulassungsfrei. Auch eine begleitende Aufzeichnung ist unproblematisch – solange sie nur eine untergeordnete Rolle spielt, etwa als kurzfristige Gedankenstütze für die Teilnehmenden.
Doch die Bewertung kippt, wenn die Aufzeichnung zur Hauptsache wird: Wenn ein Anbieter eine Schulung pro forma einmal live durchführt, um sie anschließend unbegrenzt vielen Mitarbeitenden zur Verfügung zu stellen, die gar nicht am Live-Termin teilgenommen haben, liegt der Verdacht auf Fernunterricht nahe – und damit auf Zulassungspflicht.
Besonders heikel sind auch die beliebten Online-Tests zur Arbeitssicherheit oder zum AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), bei denen Teilnehmende am Ende per Multiple-Choice bestätigen, den Inhalt verstanden zu haben. Auch hier könnte eine Zulassung erforderlich sein, da eine Lernerfolgskontrolle stattfindet – und die Schulung oft asynchron erfolgt.
Fazit
Die Praxis zeigt: Es gibt eine Vielzahl von Konstellationen, die rechtlich nicht eindeutig geklärt sind. Mischformate, automatisierte Lernstrecken, On-Demand-Schulungen – all das bewegt sich in einem Graubereich. Anbieter und Unternehmen sind gut beraten, ihre Schulungsangebote kritisch zu prüfen und im Zweifel rechtlich abzusichern.
Sylvia Häfeli
Juristin SHE-Management,
UMCO, Hamburg
Weitere Informationen Zulassungskriterien der Staatlichen Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) gemäß Fernunterrichtsschutzgesetz (FernUSG): Lehrgangstypen Die ZFU unterscheidet zwischen:
Zulassungspflicht – wann gilt sie? Ein Fernunterrichtsangebot ist zulassungspflichtig, wenn alle vier Kriterien erfüllt sind:
Zulassungsverfahren (kostenpflichtig)
Erstabfrage zur Zulassungspflicht Die ZFU bietet eine unverbindliche Überprüfung auf Antragspflicht unter https://zfu.de/veranstaltende/zulassungen, mit der Anbieter prüfen können, ob ihr Angebot unter das FernUSG fällt. Diese dient der Orientierung, ersetzt aber keine rechtliche Prüfung. |
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